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Interview mit Alex, kreativer Kopf der Urban Home Stuttgart

Vom 20. April bis 4. Mai 2024 findet in Stuttgart eine außergewöhnliche Kunstaustellung statt. Internationale Street Art und Graffiti Künstler:innen stellen ihre Werke unter dem Motto Urban Home auf dem Gelände der Stuttgarter Kulturinsel aus. Galerie-Exponate treffen auf Underground, die Heterogenität der Pieces erstreckt sich von Stickern bis hin zu gehäkelten Paste-ups sowie Graffiti-Fotografie. Ich habe mit Alex, Street Artist und kreativem Kopf der Urban Home ein Interview geführt. Alex ist ein Stuttgarter Urgestein und ausgesprochener Kenner der Szene. Seit 25 Jahren interveniert er selber mit Graffiti-, Sticker- und Paste-up Kunst im öffentlichen Raum in der Kesselstadt und den Metropolen der Welt. Man vertraut ihm in der Szene und so ist es auch möglich, dass Writer:innen aus dem Untergrund bei der Urban Home partizipieren und deren Identität streng geschützt bleibt. Alex selbst hat seit seiner Jugend viel Zeit auf dem alternativen Gelände der Kulturinsel, früher als Altes Zollamt bekannt, verbracht. Für ihn und viele Kulturliebhaber:innen ist die Kulturinsel so etwas wie die „letzte Einöde, wo Kultur frei sein kann.“ Die Urban Home ist somit ein Heimspiel für ihn, gleichwohl aber nicht die erste Ausstellung, die Alex kuratiert. Er zeichnet sich auch für die Stuttgarter Wall of Love und die Intervention Art verantwortlich.   

Das aktuelle Line-up in Stuttgart kann sich sehen lassen! Auch aus NRW sind Künstler:innen vertreten, die den lokalen Kölner Street Art Liebhaber:innen bestens bekannt sein dürften. Neben Greentaxonomy und 8arms2hug aus Köln und Leverkusen stellen die beiden Düsseldorfer Artists Mutabel und FuxundSchalter ihre Exponate aus. Ich habe mit Alex über seine Inspiration für die die Ausstellung, die Ziele der Urban Home, seinen eigenen kreativen Prozess als Street Artist, die Dualität von Graffiti und Street Art und deren Beitrag für die Qualität von Kultur und Urbanität gesprochen. Hier könnt Ihr das Interview lesen:


Als Künstler und Organisator von Urban Home, was hat Dich dazu inspiriert, diese Kunstausstellung zu kreieren, und was erhoffst Du Dir, dass die Besucher aus dem Erlebnis mitnehmen?

Seit Jahren habe ich immer wieder kleinere Ausstellungen und Projekte in Stuttgart veranstaltet, u.a. die Wall of Love oder die Intervention Art. Kurz vor Ausbruch der Corona Pandemie wollte ich eigentlich das erste Streetart-Festival in Stuttgart veranstalten und den Fokus auf Street Art und Murals sowie Konzept-Graffiti legen. Corona war dann auch im Bereich der Veranstaltung ein Brake. Da das Gelände, auf dem die Ausstellung geplant war mittlerweile abgerissen wurde, war dieser Plan leider auf Eis gelegt und die Idee verblasste mehr und mehr. Während der Corona-Zeit habe ich mich dann zunächst wieder auf meine eigene Kunst konzentriert und es sind sehr schöne Pieces entstanden. 2023 kam in mir dann wieder die Idee auf, eine Streetart Ausstellung zu planen, ehrlich gesagt eine kleinere Sache mit 2 oder 3 befreundeten Artists. Nach dem Gespräch mit den Verantwortlichen der Kulturinsel, Lana und Joachim, hatte ich jedoch plötzlich einen riesigen Club mit entsprechender Ausstellungsfläche zur Verfügung und die volle Unterstützung der beiden. Als ausgebildeter Veranstaltungskaufmann habe ich sofort Blut geleckt und da wir Schwaben bekanntlich keine halbe Sachen machen, war die Idee für die Urban Home geboren (lacht). Ich bin dann proaktiv an Stuttgarter Street Artists herangetreten und habe einige Leute ins Boot geholt. Da ich noch viele Paste-ups aus der ganzen Welt zur Verfügung hatte, die mir Street Artists für die geplante Ausstellung vor Corona zugesendet hatten, bot sich plötzlich die Möglichkeit diese auch zu würdigen und die große Ausstellungsfläche zu nutzen. Es hat sich dann ein kleines Orga-Team um mich herum gebildet, bestehend aus den Artists Stay Strange und Build your future, Street Fotograf Holzmade und Mediendesignerin Eazah. Wir arbeiten mit viel Herzblut und möchten den Besucher:innen einen besonderen Einblick in Streetart ermöglichen, damit sie ggf. auch Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu Graffiti erkennen. Wenn die Menschen dann noch einen anderen Blick für die Straßen der Stadt bekommen könnten und verstehen, dass Street Art so viel mehr als Banksy ist, hätten wir aus unserer Sicht viel erreicht.


Street Art und Graffiti fordern oft traditionelle Kunstformen heraus und erweitern Grenzen. Wie siehst Du die Rolle von Urban Home für die Weiterentwicklung der Street Art Kultur, insbesondere in Stuttgart und darüber hinaus?

Ich muss zunächst betonen, dass es heute in Stuttgart einen sehr kleinen Kern von stetig aktiven Street Art Künstler:innen gibt, was allerdings nicht immer so war. In den Jahren 2000 bis etwa 2006 war Stuttgart fast schon eine Hochburg der Szene. Graffiti war damals auch richtig groß, es gab sogar einen eigenen Stuttgart-Style. Streetart und Graffiti haben damals regelrecht geblüht. Es gab Stencils, Paste-ups, Postaufkleber, Installationen, Adbusting – eigentlich gab es nichts, was es nicht gab. Dazu haben auch die vielen alternativen Begegnungsstätten, die damals noch existierten, beigetragen. Der urbane Spielraum war schlicht vorhanden. Es gibt aber definitiv auch diese negativen Effekte des aggressiven Teils der Graffiti-Szene, von dem wir uns als Street Artists klar abgrenzen wollen. Stuttgart war auch schon immer eine Stadt, in der viele kreative Menschen zusammen kamen. Die Orte jedoch, an denen man sich treffen konnte und kann, sind im Laufe der Zeit immer spärlicher geworden. Ich habe bspw. schon mehrfach Ladenbesitzer um Erlaubnis gefragt, ihre Flächen  bespielen zu dürfen. Die meisten fanden das sehr positiv. Was generell fehlt, ist natürlich auch eine Subventionierung von Streetart im öffentlichen Raum. Die Urban Home als Event soll kein Revival oder eine nostalgische Erinnerung an alte Zeiten werden. Die Ausstellung soll vielmehr ein Startschuss sein, um Urbaner Kunst mit dem Fokus auf Streetart wieder eine Plattform zu bieten und um Besucher:innen ein einmaliges Erlebnis und vielleicht sogar eine neue Perspektive für zeitgenössische Kunst zu bieten. Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung seitens der Kulturinsel.


Deine Leidenschaft für Street Art und Graffiti zeigt sich deutlich in Deiner eigenen Arbeit. Wie beeinflusst Deine persönliche künstlerische Reise die Kuratierung dieser Ausstellung, und welchen individuellen Blickwinkel bringst Du in den Auswahlprozess ein?

Meine ersten Berührungspunkte mit Graffiti beginnen in den 2000ern Jahren in Stuttgart. Mich hat dieses Plakative, dass man mit wenigen Farben sehr viel erreichen kann wenn Formen und Zeichen gut gewählt sind, sehr fasziniert. Man kann das vielleicht unter dem Slogan ‚Weniger ist mehr‘ ganz gut zusammenfassen. Beeinflusst wurde ich auch aus meiner Familie heraus, ein Verwandter war Plakatmaler. Ich kann mich auch sehr gut an ein Buch mit koreanischen Propagandaplakaten erinnern, das ich in die Hände bekam. Es geht mir natürlich nicht um die politischen Inhalte, sondern um den grafischen, sehr realistischen Stil. Ich fand ich vor allem die Farbkombination aus diesen grellen Rot- und Gelbtönen und die klare Linienführung sehr inspirierend. Irgendwann habe ich selbst viel mit Stencils experimentiert, gefühlt tausende Postaufkleber gestaltet und geklebt. Ich habe sehr provokante Motive, teils mit erotisch bis ins pornografische hineinreichenden Inhalten entwickelt. Das hat auf der Straße natürlich sehr viel Aufmerksamkeit erregt. Sehr beeinflusst haben mich auch die herausragenden Plakate von Shepard Fairey und die OBEY-Kampagne. Das ist einfach grafisch sehr geil und 1000 Prozentig stimmig! Ich erinnere mich noch ganz genau, wie ich auf eine uralte Doku gestoßen bin, die ihn beim illegalen plakatieren begleitet. Ich habe dann auch Werbung und Flyer für Events erstellt, wobei ich mich autodidaktisch immer weiter entwickelt habe. Irgendwann habe ich dann meinen Streetart-Charakter so weit perfektioniert, dass ich damit im öffentlichen Raum auf alle gesellschaftlichen Entwicklungen sehr schnell mit meiner Kunst intervenieren kann (Anm.: wir können leider nicht auf die ikonischen Details von Alex Kunstfigur eingehen, ohne sein Street Art Alter Ego zu enttarnen).

Bei der Ausstellung bin ich so vorgegangen, dass ich in erster Linie Künstler:innen eingeladen habe, die meinen Weg in den letzten 5 Jahren gekreuzt haben. Menschen, mit denen ich gearbeitet habe, deren Kunst ich sehr schätze und die auch auf einem Level sind, dass sie entsprechende Exponate erschaffen können. Mir war auch eine heterogene Mischung wichtig, damit die Vielfältigkeit von Street Art in all ihren Facetten abgebildet werden kann. Die Vielfalt wie auf der Straße ist wichtig, d.h. wir bringen bewusst auch das Chaos und den dirty style mit in die Ausstellung. Graffiti ist da natürlich auch mit dabei. Neben den künstlerischen Aspekten muss ich als Organisator natürlich auch auf technische Vorgaben wie Brandschutz etc. achten. Rein organisatorisch haben wir uns für eine Salonhängung entschieden, um das vielfältige Line-up bestmöglich zu präsentieren. Die Besucher:innen dürfen also gespannt sein!


Die Urban Home verspricht, eine vielfältige Palette künstlerischer Ausdrucksformen zu präsentieren. Kannst Du mir bitte ein paar Einblicke in das Line-up geben, das ihr in der Ausstellung zeigt?

Da ich immer sehr aktiv war und stetig einen Blick auf die Szene hatte, habe ich eine gute Mischung zwischen Objektivität, Erfahrung, Bekanntheitsgrad und natürlich auch meinen eigenen Geschmack gewählt. Um nur ein paar Künstler:innen zu nennen, haben wir natürlich die Stuttgarter dabei: Busta 170, Build Your Future BYF, Flamingo, Julia Humpfer, Maso, Stay Strange, Alex B. und KRL. Als Gäste sind neben den Artists aus NRW u.a. ADKANDY, DELA, MAD MATZE, Nase96 und Späm vertreten.


Die Kulturinsel Stuttgart dient als Kulisse für die Urban Home, ein Ort, der für die Förderung interkulturellen Verständnisses und soziokulturellen Austauschs bekannt ist. Wie bereichert der Veranstaltungsort die Gesamterzählung und Atmosphäre der Ausstellung, und welche Rolle siehst Du darin, diverse Publikumsgruppen mit der Welt der Street Art zu verbinden?

Die Betreiber:innen der Kulturinsel, Lana und Joachim sind sehr idealistisch und unterstützen die Urban Home wo sie nur können. Es ist ein Ort der Begegnung, immer noch ein Inbegriff für Urbanität in Stuttgart mit all ihren Facetten. Niemand fragt dich an diesem Ort, ob Du Porsche fährst oder im Untergrund Graffiti sprühst oder auch beides. Ich finde das ist heutzutage nicht mehr selbstverständlich und sehr hoch anzurechnen. Die Kulturinsel ist der perfekte Ort für unsere Ausstellung und die Location, um unterschiedliche Menschen zusammen zu bringen die sich für Street Art und Graffiti interessieren. Für mich fühlt es sich so an, dass alles Hand in Hand geht und dafür bin ich dankbar!


Vielen Dank Alex, das Du Dir die Zeit genommen hast und uns einen auch ganz persönlichen Einblick gewährt hast! Wir wünschen Dir und Deinem Team viel Erfolg für die Urban Home!

URBAN HOME Street Art Exhibition 20.04. – 04.05.2024, Kulturinsel, Güterstraße 4, Stuttgart